Gießener Anzeiger - Ausgabe vom 24. 12. 2007

Jede Figur hat eine historische Bedeutung

 

Seit vier Jahren ist das Weihnachtskrippen-Museum von Erika Kernstock ein vorweihnachtlicher Anlaufpunkt

Inge MüllerULFA.

 

Die größten Figuren sind aus Reisstroh, fast einen halben Meter hoch und stammen aus Peru, die kleinste Krippengruppe kommt aus dem Erzgebirge und hat in einem Kirschkern Platz, über dem sich auch noch ein winziges Flügelrad dreht. Seit nunmehr vier Jahren widmen sich Erika Kernstock und ihr Mann mit Leidenschaft und innerer Überzeugung dem Krippensammeln und haben ihr Weihnachtskrippen-Museum und den dazugehörigen "Weihnachtsmarkt mit Herz" zu einem echten vorweihnachtlichen Anlaufpunkt in Ulfa gemacht. Stundenlang kann Erika Kernstock begeisternd über jedes einzelne Ausstellungsstück, seinen Ursprungsort, seine Herstellung und Symbolik erzählen. Ebenso lang hören ihr Groß und Klein mit wachsendem Erstaunen zu. Ob aus Kindergarten, Schule oder Krabbelgruppe, Sonntagsspaziergänger oder gezielt Angereiste, immer wieder ist man erstaunt, wie viel Tiefes und Überraschendes es von dem zu erzählen gibt, was wir doch "alle Jahre wieder" erleben und durch und durch zu kennen glauben.

 

Wer weiß schon, dass die erste Krippe 1223 von Franz von Assissi als lebendes Bild mit Mensch und Tier in einer Höhle gruppiert wurde? Dass frühe Darstellungen von einem Wickelkind aber schon auf christlichen Sarkophagen aus dem vierten Jahrhundert auftauchten? Dass die Heiligen drei Könige für die drei zur Zeit Jesu bekannten Erdteile stehen, die Tiere für das Judentum und die übrigen Weltreligionen - so dass die Hirten als Israeliten sich stets von der Seite des Esels her der Krippe nähern sollten, die Könige von der des Ochsen? Und dass Ochs' und Esel keineswegs Symbole der Einfalt sind, sondern ganz im Gegenteil: Sie gelten als diejenigen, die die Gottessohnschaft Jesu genauso scharfsichtig erkannten wie die Hirten und die Könige, wogegen viele Mächtige und vorgeblich Fromme verblendet blieben . . .

 

"Und schon greifen vor allem meine jüngsten Besucher ein und wollen es ganz genau wissen", schmunzelt Erika Kernstock, die mit ihrem Mann lange in Stuttgart lebte und nun ihr Ulfaer Elternhaus mit strahlendem Weihnachtsglanz erfüllt hat. "Warum stehen die Könige in dieser Krippe dann falsch? Bedeuten Gold, Weihrauch und Myrrhe auch etwas? - Natürlich! Königliche Würde, Gottheit und menschliches Leid. Und warum ist dieses Jesuskind dunkelhäutig - Jesus wurde doch gar nicht in Afrika geboren, oder?"
Ja, Bethlehem liegt aber auch nicht in Bayern, der Stall war kein Iglu, kein Tiroler Bergbauernhof und keine Bananenblatthütte, die Hirten waren keine Andenbauern, die Könige keine Maharadschas und die Hirten und ihre Frauen keine Brasilianer, wie es die farbenprächtige, quirlige "Samba-Krippe" glauben macht. Und doch, so scheint es, hat jedes Volk und jedes Handwerk der Erde, das die Weihnachtsgeschichte kennt, die Krippe ins eigene Land verlegt.

 

"Gott kommt zu allen Menschen aus allen Völkern. Als kleines, bedürftiges Kind, nicht als der wiederkehrende Herr, der mächtige Pankrator, als den man ihn Jahrhunderte lang dargestellt hat", erläutert Erika Kernstock die Internationalität der Weihnachtsbotschaft. "Weihnachten heißt: Gott ist ganz nah. Er sieht uns Auge in Auge - nicht aus fernen Höhen."

 

Tatsächlich gleicht der Besuch in ihrem Weihnachtskrippen-Museum einer kleinen Weltreise: Die Ebenholzgruppe stammt aus Tansania, die Bananenblattkrippe aus Ruanda, die Maisstrohversion aus dem fernen Nepal, die Tonkrippe im Kastenformat aus Peru. Hier trägt der kleine Jesus natürlich ein Inka-Käppchen, während man im Stall aus Südtirol naturgetreuen Miniatur-Mais unterm Dach trocknet, die Zäune mit Rebholz umwickelt und in einer abgelegenen Ecke sogar einen winzigen Komposthaufen aus Stroh platziert hat. Wie gesagt: Gott kommt mitten ins Leben!

 

Kleine Weltreisen unternehmen auch Erika Kernstock und ihr Mann, mal im Internet, mal in der Realität, immer auf der Suche nach neuen Ausstellungsobjekten mit eigenem Charakter und eigener Geschichte. Mit den Krippen aus Afrika unterstützen sie ein Projekt der Münsterschwarzacher Benediktiner, mit den Popart-Kunstwerkenjunge, ambitionierte Designer, mit der Messing-Krippe aus einem muslimischen Kloster in Burkina Faso rufen sie unaufdringlich zum Dialog der Religionen auf. Die Figurengruppe "Auf der Flucht" erinnert daran, wie viele Menschen noch heute das Schicksal der Heiligen Familie teilen. Und dann gibt es noch die Quellen-Nachlässe, Zufallsfunde auf Urlaubsreisen, Schenkungen von Großeltern, deren Krippenschätze in der eigenen Familie nicht mehr gewürdigt und gebraucht werden. Die ältesten Stücke stammen aus Böhmen und Mähren, aus einer Zeit, als man im Zuge der Aufklärung die Krippen aus den Kirchen verbannen wollte. Das gelang natürlich nicht, der Krippenbau und das Krippenaufstellen verlagerte sich einfach in die Privathaushalte.

 

Im Ulfaer Weihnachtskrippen-Museum kommt nun alles zu neuem Glanz und Ehren, ob aus Glas, Alabaster oder Speckstein, Kürbis, Walnuss oder Muschelblatt. Die Ausstellung wird in jedem Jahr anders bestückt, eine endgültige Trennung von einem der Objekte steht allerdings nicht an, und auch kein Verkauf.

 

Dafür gibt es den benachbarten "Weihnachtsmarkt mit Herz", den Erika Kernstock in einem ehemaligen Kuhstall, direkt an das Wohnhaus angrenzend, eingerichtet hat. Auch hier findet man Krippen in vielen Formen und Größen, dazu geschmackvolle Weihnachtsdekorationen, immer mit einem bezaubernden Hauch von Weltkunst und Originalität. "Ein Drittel Privatleben, ein Drittel ehrenamtliches Engagement für die Kirche und ein Drittel Arbeit an einer Lebensaufgabe, die sich lohnt", so haben sich Erika Kernstock und ihr Mann die Zeit nach der Pensionierung vorgestellt. Mit der Lebensaufgabe "Krippenkunst sammeln und darüber erzählen" können sie jetzt schon Bücher füllen und ein kleines Museum voller sehenswerter Kostbarkeiten.

 

Nähere Informationen über das Weihnachtskrippen-Museum, den "Weihnachtsmarkt mit Herz" sowie die Öffnungszeiten finden Interessierte unter der Internet-Adresse www.weihnachtskrippen-museum.de. Das Museum befindet sich, von Nidda kommend, am Ortseingang von Ulfa in der Steinstraße 34.